Inside.it.ch News RSSDienstag, 14.05.2019 / 11:06 Kolumnist Jean-Marc Hensch über die Tücken der Einführung einer neuen Technologie. Während die Mobilfunkanbieter mit gigantischen Werbekampagnen darin wetteifern, wer denn schneller das Land mit 5G abdecken kann, beschliessen Kantonsparlamente, die Technologie auf ihrem Territorium zu verbieten. Beide Seiten befinden sich auf dem Holzweg: Zu einem Zeitpunkt, wo kaum jemand über entsprechende Geräte verfügt, wirkt die Marketinglawine reichlich surreal. Und dass die Kantone in Sachen Handy-Antennen genau nichts zu sagen haben, ist rechtlich eine Tatsache. Angesichts des Aufeinanderprallens von zwei Welten stelle ich mir die Frage: Wie kann die Einführung einer Zukunftstechnologie in einem modernen Industriestaat nur so schief gehen? Es gibt kaum ein Gesundheitsproblem, das heute nicht mit 5G-Strahlung in Verbindung gebracht wird: Wachstumsstörungen, Migräne, Schlaflosigkeit, Erinnerungsverlust, Unfruchtbarkeit und noch Schlimmeres. Dabei ist die Lage schon ohne 5G dramatisch genug: Laut einer "verlässlichen" US-Studie haben Kinder, die unter 20 Jahren regelmässig mit schnurlosen Telefonen und Handys in Berührung kommen, schon heute ein viermal höheres Gehirntumor-Risiko. Und es hört natürlich nicht bei den Menschen auf: 5G sorgt laut "seriösen" Quellen auch für Insektensterben und für das Verenden von ganzen Vogelpopulationen. Letztes Jahr schrieb der Beobachter (immerhin ein analoges Medium mit 800'000 Lesern in der Schweiz): "Ärzte warnen vor immensen Gesundheitsrisiken." Damit ist klar: Auch wenn wissenschaftlich und regulatorisch nichts gegen 5G spricht, so gibt es doch eine steigende Anzahl von Leuten, die sich hier Sorgen machen – und sogar Mehrheiten in Parlamenten erreichen können. Nun leben wir in einer Zeit, in welcher sich Fake-News und Verschwörungstheorien sehr viel einfacher und ungehinderter verbreiten als früher. Die sozialen (oft auch asozialen) Medien machen einerseits die Organisation von Gleichgesinnten ungleich viel einfacher und erleichtern andererseits das Propagieren von extremen Positionen ganz wesentlich. Gleichzeitig erschwert die Komplexität der modernen Welt dem Einzelnen enorm, sich ein verlässliches Bild über die wahren Verhältnisse zu machen. Aktuell zeigt das Phänomen der Impfgegner auf, wie verunsichert viele Menschen sind, die sich dann von fragwürdigen Autoritäten leiten lassen. Trotzdem: Ich bin überzeugt, dass die Telekomanbieter bei der Lancierung von 5G bisher versagt haben und will das anhand eines konkreten Beispiels ausführen: Am letzten Wochenende platzierte der grösste Mobilfunkanbieter des Landes in einer Sonntagszeitung eine achtseitige Publireportage. Das Panoramainserat in der Mitte der Beilage misst vollständig ausgeklappt grössenwahnsinnige 125 cm! Neben diesem formalen Aspekt fällt auf, dass das Thema Strahlung und Gesundheit auf den ganzen acht Seiten genau null Mal vorkommt. Was das Inserat kommuniziert: "Liebe Freunde, wir haben Geld ohne Ende. Was Politik und Gesellschaft denken, ist uns eigentlich egal, solang wir den jungen hippen Konsumenten mehr Tempo und damit ein teureres Abo verkaufen können." Und natürlich ist dieser Auftritt auch eine Ansage an den anderen Telekomanbieter, der sich erfrecht hatte, 5G vor dem grossen Bruder auszurollen. Fortsetzung folgt, auf Plakatwänden, Inseraten und online. So wird Marketing zum Wettpinkeln von übermütigen Buben – aber mit welchem Kollateralschaden. Das Problem besteht darin, dass Grossfirmen ganz generell in der Kommunikation einen blinden Fleck entwickelt haben. Sie betreiben fast ausschliesslich Ein-Weg-Kommunikation: Einerseits das knallharte kommerzielle Marketing für Produkte und Dienstleistungen (z.B. per Panoramainserat). Und andererseits die strategisch "softe" Kommunikation, um an der Reputation zu schrauben, ohne dem Business ins Gehege zu kommen: Employer Branding, CEO-Home-Stories, Corporate Social Responsibility, grüne Initiativen etcetera. Was viele Konzerne aber nicht (mehr) können: zuhören. Denn wer dem sprichwörtlichen Mann von der Strasse und seiner Frau regelmässig aufs Maul schaut, hätte merken können, was sich da zusammenbraut. Wenn man heutzutage die Bevölkerung von etwas so Selbstverständlichem wie der Harmlosigkeit und der Nützlichkeit von klassischen Impfungen überzeugen muss, wie viel mehr hätte man unternehmen müssen, um eine neue "Strahlentechnologie" behutsam zu etablieren? Aber jetzt ist zu spät und ich sehe eigentlich nur noch die Lösung in Form einer gross angelegten, herstellerübergreifenden Marketingaktion: Zu jedem 5G-Handy gibt es kostenlos einen Aluhut. (Jean-Marc Hensch) Jean-Marc Hensch ist seit 2012 Kolumnist von inside-it.ch und inside-channels.ch. Als Verwaltungsrat, Startup-Investor und Coach ist er in der ICT- sowie in weiteren Branchen engagiert. Er äussert hier seine persönliche Meinung und twittert als @sosicles.

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