Heise Top NewsBundeswehr wurde bei Diskussion über Taurus per WebEx abgehört Nach der russischen Veröffentlichung eines Mitschnitts von Beratungen deutscher Luftwaffen-Offiziere haben Sicherheitspolitiker Konsequenzen gefordert. "Wir müssen dringend unsere Sicherheit und Spionageabwehr erhöhen, denn wir sind auf diesem Gebiet offensichtlich vulnerabel", sagte die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses des Bundestags, Marie-Agnes Strack-Zimmermann, dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Der stellvertretende Unionsfraktionsvorsitzende Johann Wadephul forderte die Bundesregierung auf, die Vorschriften für den Schutz von Kommunikation nachzuschärfen. Anzeige Der Grünen-Politiker Konstantin von Notz sagte dem RND: "Es stellt sich die Frage, ob es sich hier um einen einmaligen Vorgang oder ein strukturelles Sicherheitsproblem handelt." Er erwarte "umgehende Aufklärung aller Hintergründe", forderte der Vorsitzende des Parlamentarischen Kontrollgremiums. Die Chefin des russischen Staatssenders RT, Margarita Simonjan, hatte am Freitag einen Audiomitschnitt eines 38-minütigen, abgehörten Gesprächs veröffentlicht. Das Verteidigungsministerium hat dem ARD-Hauptstadtstudio den Abhörvorfall bestätigt, prüft aber derzeit noch, ob der Mitschnitt unverfälscht ist. Darin sind ranghohe Offiziere der Luftwaffe zu hören, wie sie über theoretische Möglichkeiten eines Einsatzes deutscher Taurus-Marschflugkörper durch die Ukraine diskutieren. Auch nach früheren Informationen der Deutschen Presse-Agentur ist das Gespräch authentisch. Die Offiziere schalteten sich der Agentur zufolge über die Plattform WebEx zusammen. Fachgespräch unter Offizieren per WebEx Nach heise online vorliegenden, von der Bundeswehr jedoch unbestätigten Angaben, wird Ciscos WebEx in der Truppe häufig eingesetzt. Dabei sei jedoch bekannt, so mit der Implementation von WebEx in Sicherheitsbereichen vertraute Personen, dass das System zumindest bei der Einwahl per Telefon oder über einen Browser keine Ende-zu-Ende-Verschlüsselung biete. Neben dem grundsätzlichen Sicherheitsproblem, dass per traditionellem Telefonanruf in Konferenzen zugeschaltete Teilnehmer keine verschlüsselten Verbindungen aufbauen können, muss in Ciscos WebEx Ende-zu-Ende-Verschlüsselung von IT-Verantwortlichen für die Client- und Server-Software eingerichtet und aktiviert werden. Zudem müssen alle Nutzer diese Optionen dann zugewiesen bekommen. Welche der potenziellen Schwachstellen von pro-russischen Schnüfflern zum Abhören missbraucht wurde, ist offiziell noch unklar. Laut dem Mitschnitt hat einer der Offiziere von einem Hotel in Singapur aus teilgenommen, wie auch das ZDF berichtet. Auf welchem technischen Weg das geschah, ist nicht bekannt. Details zu Taurus und brisante Äußerung über Verbündete An dem Gespräch nahm unter anderem Luftwaffen-Inspekteur Ingo Gerhartz teil. Es soll der Vorbereitung auf eine Unterrichtung für Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) gedient haben. In dem in der Audiodatei dokumentierten Austausch geht es unter anderem um die Frage, ob Taurus-Marschflugkörper technisch in der Lage wären, die von Russland gebaute Brücke zur völkerrechtswidrig annektierten ukrainischen Halbinsel Krim zu zerstören. Ein weiterer Punkt ist, ob die Ukraine den Beschuss ohne Bundeswehrbeteiligung bewerkstelligen könnte. Allerdings ist in dem Mitschnitt auch zu hören, dass es auf politischer Ebene kein grünes Licht für die Lieferung der von Kiew geforderten Marschflugkörper gibt. Brisant ist, dass die Rede davon ist, dass die Briten im Kontext des Einsatzes ihrer an die Ukraine gelieferten Storm-Shadow-Marschflugkörper "ein paar Leute vor Ort" hätten. Gerade erst hatte es in Großbritannien Verärgerung gegeben über eine Äußerung von Kanzler Olaf Scholz, die ihm von einigen als Indiskretion ausgelegt wurde. "Was an Zielsteuerung und an Begleitung der Zielsteuerung vonseiten der Briten und Franzosen gemacht wird, kann in Deutschland nicht gemacht werden", sagte der SPD-Politiker. Was er genau damit meint, ließ er offen. Der Satz wurde aber von einigen als Hinweis verstanden, Franzosen und Briten würden die Steuerung ihrer an die Ukraine gelieferten Marschflugkörper Storm Shadow und Scalp mit eigenen Kräften unterstützen. Ein Sprecher des britischen Premierministers Rishi Sunak dementierte das umgehend: "Der Einsatz des Langstreckenraketensystems Storm Shadow durch die Ukraine und der Prozess der Zielauswahl sind Sache der ukrainischen Streitkräfte." Kiesewetter: Russland will mit Leak Taurus-Lieferung unterbinden Der CDU-Verteidigungsexperte Roderich Kiesewetter sagte "ZDF heute" mit Blick auf die Veröffentlichung: "Man muss davon ausgehen, dass das Gespräch ganz gezielt durch Russland zum jetzigen Zeitpunkt geleakt wurde, in einer bestimmten Absicht. Diese kann nur darin liegen, eine Taurus-Lieferung durch Deutschland zu unterbinden." Russland wolle Scholz abschrecken, indem man "öffentlich zeigt, wie tief Russland die deutschen Entscheidungsvorbereitungen dazu bereits aufgeklärt hat". Auch Strack-Zimmermann sieht als Grund für die Veröffentlichung, dass Russland Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) davon abschrecken will, doch noch grünes Licht für die Lieferung von Taurus zu geben. Sie sagte dem RND, Spionage gehöre "zum Instrumentenkasten Russlands hybrider Kriegsführung". Es sei weder überraschend noch verwunderlich, dass Gespräche abgehört würden. "Es war nur eine Frage der Zeit, wann es öffentlich wird." Kiesewetter rechnet damit, dass noch etliche andere Gespräche abgehört wurden und gegebenenfalls später im Sinne Russlands geleakt werden. Er vermutet zudem: "Dieses Bundeswehr-Leak kann ein russischer Versuch sein, die öffentliche Debatte wegzulenken von den Wirecard-Enthüllungen und der Beerdigung von Alexej Nawalny." Bundeskanzler Scholz hat mehrfach betont, dass er gegen die Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern an die Ukraine ist. Auch innerhalb seiner eigenen Ampel-Koalition ist diese Position umstritten. Scholz begründet sie mit der Gefahr, dass Deutschland in den von Russland begonnenen Angriffskrieg hineingezogen werden könnte. Der verteidigungspolitische Sprecher der Union, Florian Hahn, forderte nun, dass der Kanzler sich im Verteidigungsausschuss des Bundestags erklärt. Aus seiner Sicht untermauert das Luftwaffen-Gespräch, dass ein Einsatz von Taurus durch die Ukrainer auch ohne Bundeswehr-Personal vor Ort möglich wäre. "Ich erwarte Bundeskanzler Scholz hierzu im Verteidigungsausschuss", so Hahn. Update 03.03.2024, 18:03 Uhr Verteidigungsminister Boris Pistorius will den Leak "lückenlos aufklären" lassen. Laut CDU-Politiker Roderich Kiesewetter hörte Russland direkt in die Konferenz eingewählt zu. Die neuesten Entwicklungen bis Sonntagabend finden sich in einer aktuellen Meldung. (nie) Zur Startseite

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